Story
Johanna Voll ist Coworking-Enthusiastin, Mitglied in der German Coworking Federation und Mitgründerin der Coworking-Library. Für sie kann wissenschaftliche Forschung helfen die Diversität zu verbessern und den Zugang zu mobilem Arbeiten für viele Menschen zu ermöglichen.
1. Wann bist du das erste Mal mit Coworking in Kontakt gekommen?
Das war 2009 für meine Masterarbeit Im Rahmen meines Studiums der soziokulturellen Studien an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Meine spätere Doktormutter machte mich auf Coworking aufmerksam und ich untersuchte beispielsweise einen veganen Coworking-Space in Berlin. Außerdem habe ich für meine Masterarbeit Interviews mit Betreiber*innen von Coworking-Spaces mit Kinderbetreuung sowie mit den Eltern geführt. Um mir einen wirklichen Eindruck zu verschaffen, habe ich auch verschiedene Spaces in London, Leipzig und Köln besucht. Seitdem bin ich in die Szene verliebt und wollte mehr darüber erfahren, wer in solchen Spaces zusammenkommt und welche Werte und Ideale die Menschen dort vorantreiben.
Deswegen bin ich seit 2011 auch bei der Coworking Europe dabei und habe im Rahmen meiner Lehre an der Viadrina immer versucht, Student*innen das Thema Coworking näherzubringen und den Gründungsgeist in ihnen zu wecken. Hoffentlich konnte ich ein paar Lampen anknipsen.
2. Wie bist du auf CoWorkLand aufmerksam geworden?
Bei der deutschen Coworking-Konferenz Cowork2019 in Mannheim habe ich das erste Mal Kontakt mit CoWorkLand gehabt. Damals sind auch schon die Container, also die PopUp-Coworking-Spaces, durchs Land gezogen. Daher finde ich es umso spannender zu sehen, was inzwischen aus dem einstigen Projekt geworden ist. Besonders die Expansion auf ganz Deutschland als Genossenschaft nach dem ehemals stark regionalen Fokus, ist interessant zu beobachten.
3. Was ist deine Aufgabe innerhalb der German Coworking Federation (GCF)? Denkst du, dass solche Verbünde/Netzwerke vielen Gründer*innen auf dem Weg zum eigenen Space und auch während des Betriebs eine wichtige Unterstützung sind?
Innerhalb der GCF bin ich in verschiedenen Bereichen involviert. Vor allem habe ich zusammen mit Carsten Foertsch von Deskmag den Hut für die Forschung rund um Coworking auf und bin zusätzlich im erweiterte Vorstand aktiv. Außerdem organisiere ich gemeinsam mit Dina Sierralta die virtuellen Netzwerktreffen. Eines meiner Ziele ist auch, den Austausch mit der Schweiz und Österreich noch stärker auszubauen mit Zusammenschlüssen wie beispielsweise Coworking Switzerland. Dabei beschäftigen wir uns unter anderem intensiv mit den fünf Coworking-Werten – Nachhaltigkeit, Kollaboration, Offenheit, Zugänglichkeit und Gemeinschaft. Wir fragen uns, was diese Werte wirklich bedeuten und wie man sie ganz praktisch umsetzen kann.
Was Netzwerke generell angeht, halte ich diese für enorm wichtig! Wir sehen schließlich jeden Tag in den Coworking-Spaces, wie essentiell Gemeinschaften und Kollaboration sind. Auf der anderen Seite bringen Netzwerke natürlich auch Fragen mit sich. Wir haben uns mit der Gründung der GCF hierzulande erstmal schwer getan und uns Gedanken gemacht, ob wir das überhaupt machen sollten oder ob der Charme nicht eher im Dezentralen liegt. Auf der anderen Seite schließt das eine das andere ja nicht aus. In unserer Satzung ist ganz klar verankert, dass wir die Coworking-Kultur fördern und das bedeutet eben auch die Unterstützung einzelner, regionaler Akteure. Über allem steht jedoch, dass ich Coworking als soziale Bewegung verstehe.
Aktuell befinden wir uns mit der GCF auch in einem generellen Change-Prozess. Dabei stellen wir uns neu auf und diskutieren, womit wir uns zukünftig beschäftigen wollen, wofür wir stehen und was wir mit dem Bundesverband erreichen wollen oder eben auch, was wir nicht machen wollen. Ein Teil dessen ist auch die Wahrnehmung von Frauen in der Branche, besonders in Bezug auf Zugänglichkeit und Diversität. Es ist wichtig, dass möglichst viele Gruppen die nächsten Schritte mit entscheiden. Wenn jemand am Tisch fehlt, sollten wir uns die Frage stellen „Warum?“ und nicht einfach nur sagen, „Die wollen eben nicht“. Wie können wir uns also verändern, sodass wir noch inklusiver werden? Das ist eine sehr wichtige Frage, der wir uns auch mit weiterer Forschung nähern wollen – beispielsweise mit Projekten wie der Coworking Library.
4. Wie kam die Idee zur Coworking Library auf und worum geht es dabei?
Zusammen mit Carsten Foertsch und später auch mit Hector Kolonas habe ich schon 2015 mit der Planung für die Coworking Library begonnen. Damals habe ich auch noch Bachelor- und Seminararbeiten von Student*innen an der Viadrina in Frankfurt (Oder) betreut. Viele waren der Meinung, dass es überhaupt keine Forschung zu Coworking gibt. Aber das ist heute wie damals nicht richtig. Dafür muss man nur mal bei Spacebetreiber*innen nachhaken, wie viele Anfragen sie für Interviews im Zuge von Masterarbeiten und anderen Forschungsprojekten erhalten. Einige Forschende denken, sie erfinden das Rad neu, wenn sie Coworker*innen nach ihrer Motivation befragen in einem Space zu arbeiten. Genau diese Frustration, immer die gleichen Fragen beantworten zu müssen, war es, die uns dazu brachte die existierende Forschung zentral an einem Ort zugänglich zu machen. So kann jeder und jede sehen, was es bereits gibt und neue Forschung kann auf existierenden Erkenntnissen aufbauen und nicht immer nur vorheriges wiederholen.
Seit November 2018 ist die Website live und wir haben hunderte Stunden ehrenamtliche Arbeit hineingesteckt – und tun es auch noch. Von den Nutzer*innen erhalten wir sehr viel positives Feedback. Das benötigen wir auch, denn die Nutzer*innen entwickeln die Library zusammen mit uns. Per Crowdsourcing wächst sie immer weiter und jede/r kann neue Publikationen einstellen, die wir dann auf ihre Qualität hin prüfen.
5. In welchem Bereich der Forschung ist denn deiner Meinung nach noch Luft nach oben?
Manchmal nehmen quantitative Studien etwas viel Raum ein und stattdessen fehlt ein detaillierter Einblick und die Möglichkeit zu differenzieren. Wir hören momentan immer wieder, wie schnell und stark die Anzahl der Coworking-Spaces gewachsen ist. Aber um was für Spaces handelt es sich hier? Sind es vielleicht manchmal auch nur ganz normale Bürogemeinschaften? Immerhin ist nicht überall, wo Coworking drauf steht auch Coworking drin. Der Begriff hat sich zunehmend zu einem Marketing-Buzzword entwickelt.
Damit qualitative Studien nicht untergehen, ist eine gute (digitale) Wissenschaftskommunikation wichtig und es wäre sehr spannend, gemeinsam Standards für verschiedene Formen des Coworking zu entwickeln. Wir müssen diese Studien weiterdenken und auch eine Übersetzungsfunktion einnehmen, damit die Ergebnisse nicht in der Forschungsblase steckenbleiben. Zur Weiterentwicklung der Coworking Library haben wir viele Ideen, brauchen aber für die Umsetzung noch etwas Unterstützung.
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Wenn ihr die Coworking Libray unterstützen wollt, schaut doch mal hier vorbei. Und wenn ihr nun auch Lust verspürt die soziale Bewegung weiter voranzutreiben und einen eigenen Coworking-Space zu gründen, hilft euch unser Praxisleitfaden für Coworking auf dem Land beim Einstieg.
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